Rainer Schmidt – Keine Hände, keine Langeweile
Ein Dorf, ein Tisch, ein Anfang
Als ich zwölf Jahre alt war, kam meine Familie auf die glorreiche Idee, wir machen Urlaub in einem kleinen Bauerndorf in Österreich. Wie man so bescheuert sein kann, 850 km zu fahren, um dort anzukommen wo wir losgefahren waren, verstehe ich bis heute nicht. Mein Heimatdorf und das österreichische Urlaubsdorf waren identische Kopien. Einen Unterschied gab es allerdings. Dort gab es eine Tischtennisplatte. Und leider auch nur eine Tischtennisplatte. Ich bemühte mich nach Leibeskräften, kam aber dank meiner kurzen Arme weder an die kurzen Bälle, noch an die Eckbälle. Frustriert gab ich auf.
Am nächsten Tag sah ein Urlaubsgast aus unserer Pension zu, Herr Lutz. Er sprach mich an: „Willst du nicht auch mitspielen?“ „Doch, das würde ich gerne. Ich hab’s auch schon ausprobiert, aber ich kann den Schläger nicht festhalten.“ Er grübelte nach. „Ich werde mir was einfallen lassen“, versprach er. Am nächsten Tag kam er wieder zur Tischtennisplatte. Er hatte Schaumstoff dabei und Schnüre. Eine erste Lage Schaumstoff legte er um meinen Arm, dann kam der Schläger und dann noch einmal Schaumstoff. Das alles band er mit den Schnüren fest. Die Kinder ließen mich ausprobieren. Der Schläger wackelte zwar ein wenig, aber nun kam ich viel besser an die Bälle und konnte richtig mitspielen. Er hat dann noch ganz schön lange getüftelt bis der Schläger so gut saß, dass die Schnüre sich nicht mehr in meinen Arm bohrten und bis nicht immer die Konstruktion auseinander fiel, wenn ich den Schläger ablegte. Fortan war ich begeisterter Tischtennisspieler (auch, wenn ich immer verlor).
Rein in den Verein
Nach dem Urlaub bin ich mit meinem Cousin Frank in den Tischtennisverein TTG Homburg eingetreten. Drei Jahre habe ich 2-3 Mal die Woche trainiert.
1980 hat mich Adolf Krenzke (leider inzwischen verstorben), Mitglied der VSG Wipperfürth, für den Behindertensport entdeckt.
Paralympics und Co
Bereits 1983 wurde ich in den Nachwuchskader der Nationalmannschaft des Deutschen Behindertensportverbandes berufen. Von da an ging es steil bergauf und immer mal wieder bergab.
1988 nahm ich an den Paralympics in Seoul teil und war nachhaltig beeindruckt. Bustransfer mit Polizeieskorte vom Flughafen zum paralympischen Dorf. Paralympics und Olympics fanden in den selben Sportstädten, im selben Dorf, begleitet von einem Tross von TV- und Medienvertretern vor beinahe ausverkauften Rängen statt.
1992 das Endspiel meines Lebens, Barcelona. Sollte ich nicht völlig dement mein Leben beenden, werde ich mich immer an dieses Stadion und die Gefühle erinnern. Hab’s aufgeschrieben.
1996 der Tiefpunkt. Paralympics Atlanta, als Nummer 1 der Weltrangliste in der Vorrunde ausgeschieden. Das hätte traumatisch werden können, wurde es aber nicht. Dank Sportpsychologe Lothar Linz habe ich gelernt, mich im Spiel nur auf mich zu konzentrieren (das kann ich beeinflussen), nicht auf das Ergebnis (das kann ich nur bedingt beeinflussen). Außerdem wurde die Angst vor dem Verlieren gebannt.
Eine Auflistung meiner internationalen und nationalen Erfolge ist im Pressebereich zu finden. 2008 habe ich meine internationale Tischtenniskarriere beendet.
Heute ...
… spiele ich in der 5. Mannschaft des TV-Dellbrück in der Kreisliga der langarmigen Männer. Gewinnen will ich immer noch, aber mein Alter und wenig Training verhindern das regelmäßig. Ganz zu schweigen vom Gegenspieler.